Fordern und fördern

Der Frauenfußball ist im Aufwind: Zuschauerrekorde in den Stadien, hohe Einschaltquoten im Fernsehen – und jetzt steht die Europameisterschaft in der Schweiz vor der Tür. Wie aber ist es um die Basis bestellt? Wie fördert man junge Mädchen und Frauen, um nachhaltigen Erfolg zu erzielen? Wie entdeckt man Talente – und Trainerinnen? Continental, Partner der deutschen Fußballnationalmannschaft der Frauen, sprach mit Ulrike Ballweg, sportliche Leiterin der Talentförderung Frauen und Mädchen beim DFB.
Frau Ballweg, der DFB hat Talentförder- und Leistungszentren für Mädchen eingeführt. Damit sollen, so heißt es, Qualitätsstandards in der weiblichen Talentförderung professionalisiert werden. Kommt das nicht ein wenig spät?
Das sieht auf den ersten Blick vielleicht so aus, kommt meiner Meinung nach aber genau zum richtigen Zeitpunkt. Das Umfeld muss passen, die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Und die haben sich in den vergangenen Jahren signifikant verändert. Der Frauen- und Mädchenfußball ist deutlich professioneller geworden. Die Frauen-Bundesliga, natürlich, aber auch die 2. Bundesliga. Jetzt macht es Sinn, die Nachwuchsförderung noch einmal neu aufzustellen, dem professionelleren Umfeld gemäß. Es geht darum, auch in den Vereinen professionellere Strukturen zu forcieren, gerade für die jungen Spielerinnen noch bessere Bedingungen zu schaffen. Teilweise ist das schon sehr gut, zum Teil aber noch ausbaufähig.
Was ist denn noch ausbaufähig?
Es geht darum, in den Vereinen ein vertieftes Bewusstsein für die Vorteile einer konsequenten Nachwuchsförderung zu schaffen. Wir haben sehr viele engagierte Menschen in den Vereinen, daran liegt es nicht. Aber die bewegen sich oft in sehr tradierten Strukturen, in denen gerade die Talentförderung für Mädchen noch nicht so verankert ist, wie sie es verdient hat. Oder es herrscht einfach ein Informationsdefizit, was man machen kann, wie man sich besser aufstellt. Da muss dann vielleicht eine Abteilungsleiterin, eine Trainerin zu viele Funktionen im administrativen wie im sportlichen Bereich übernehmen, und das ehrenamtlich. In den Nachwuchszentren sollten Trainerinnen und Trainer zumindest halbtags, besser in Vollzeit angestellt sein und sich in der Zeit auf ihre Kernkompetenzen fokussieren können. Ich kann ehrenamtlich nach Feierabend nicht einen Kader von 20 oder mehr Talenten individuell fördern, da werde ich den einzelnen Spielerinnen nicht gerecht.
Ist es aber nicht so, dass im Mädchen- und Frauenfußball gute Konzepte in den Vereinen oft nicht verhaften, weil dort in den Entscheidungspositionen Männer sitzen, die das Problem nicht erkennen? Nur ein Beispiel: Viele Expertinnen und Experten sind sich einig, dass das Training für Frauen auch die besonderen Bedürfnisse etwa rund um die Menstruation berücksichtigen sollte. In der Praxis findet das aber oft keine Berücksichtigung.
Ja, das ist ein wichtiger Punkt: Wie bekommen wir unsere Konzepte, die gemeinsam mit Vereinsvertreterinnen und -vertretern erarbeitet worden sind, in die Realität übersetzt? Da sollte zum Beispiel ein Zyklus-basiertes Training, das die Bedürfnisse der Frauen berücksichtigt, in jedem Verein Standard sein. Das ist essenziell, damit Mädchen und Frauen ihr volles Leistungspotenzial abrufen können. Es macht keinen Sinn, dass eine Frau an den betreffenden Tagen im Monat Trainingsformen angeboten bekommt, die für leistungsbezogenen Männerfußball entwickelt wurden. Hier setzen wir ganz früh in der Trainerinnen- und Trainerausbildung an. Als ich zum Beispiel meine Trainerlizenz gemacht habe, wurden uns nur Inhalte vermittelt, die für Männer oder Jungs konzipiert worden waren. Frauen aber sind physisch nun einmal anders gebaut. Das sollte, das muss berücksichtigt werden.
Die U17-Bundesliga bei Mädchen und Frauen wurde zum Saisonbeginn 2024/25 abgeschafft. Nachwuchsteams können jetzt in den U15-Ligen der Jungs mitspielen. Glauben Sie, dass das 17-, 18-jährige Mädchen es so toll finden, mit den kleinen Brüdern in einer Liga zu spielen?
Es ist kein „Muss“-Kriterium. Wir stellen den Vereinen, den Teams frei, ob sie weiter im Juniorinnen-Bereich spielen wollen oder eben bei den Jungs. Wir sehen viele Vorteile darin, wenn Mädchen im Junioren-Bereich spielen. Das Tempo, die Intensität, die Leistungsdichte und die Qualität sind dort fordernder, und das bringt Spielerinnen auf jeden Fall nach vorne. Die U17-Bundesliga der Mädchen war mit einem hohen Aufwand verbunden, brachte aber unterm Strich für die Leistungsentwicklung nicht das, was wir uns vorgestellt haben. Es geht uns um die bestmögliche Entwicklung für junge Spielerinnen, sich für die höchste Spielklasse vorzubereiten, für die Spitze.
Der alte Trainer:innen-Spruch gilt? 90 Minuten Spiel können das beste Training nicht ersetzten.
Sehr richtig! Und diese 90 Minuten müssen Mädchen nicht unbedingt gegen Mädchen spielen. Im Spiel gegen und mit Jungs kann man sich zum Beispiel eine Robustheit aneignen, die in reinen Mädchen-Begegnungen noch selten zu finden ist. Und wie gesagt, das ist nur ein „Kann“-Angebot. Übrigens haben wir ja den DFB-Pokal für U17-Juniorinnen eingeführt. Die sportliche Auseinandersetzung ohne Jungs auf nationaler Ebene ist also nach wie vor gegeben.

Wenn man nicht in der ersten Runde ausscheidet…
Das stimmt. Wir schauen uns das ja auch alles sehr, sehr genau an. Wir werden die derzeitige Lösung erst einmal laufen lassen und dann erneut evaluieren, ob das gut funktioniert. Oder sollten wir zum Beispiel noch einen weiteren Wettbewerb über die Talentförderzentren ins Leben rufen? Eine Talente-Liga zum Beispiel? Nichts ist in Stein gemeißelt, wir sind flexibel.
Mit Talentförderzentren werden die Allerbesten gefördert. Was ist mit all den Rohdiamanten? Spielerinnen, die im Verein von einem engagierten Vater trainiert werden und sich dabei mit ihrem Team einen halben Kunstrasenplatz mit einer anderen Mannschaft teilen müssen? Wie werden Mädchen gefördert, für die das Leistungszentrum vielleicht zu früh kommt? Oder die eben gar nicht als Talent erkannt werden?
Ein wichtiger Punkt. Da sind wir im intensiven Austausch mit unseren Landesverbänden, um Strukturen zu schaffen, um genau diese Lücke zu schließen. Wir müssen möglichst breit fördern, um jedem Mädchen mit einem gewissen Potenzial eine Perspektive für den Weg nach oben zu bieten. Es gibt von einzelnen Landesverbänden bereits Initiativen, um Vereine als Ausbildungs- beziehungsweise Talentförderverein zertifizieren zu lassen. Das sind Anreize, um vereinsinterne Strukturen den neuen Anforderungen gemäß zu modernisieren.
Die Realität aber ist: Gute Trainerinnen und Trainer wechseln innerhalb eines Vereins oft schnell zu einer Jungsmannschaft, wenn sich die Möglichkeit bietet. In Hamburg zum Beispiel ist jüngst die „beste Jugendtrainerin des Jahres“ vereinsintern schnell in den Jungsbereich gewechselt. Da ist das Profilierungs-Potenzial für aufstrebende Trainerinnen und Trainer einfach höher.
Da legen Sie den Finger an den Puls des Problems, wenn ich so sagen darf. Das ist ein strukturelles Problem, das wir eben mit all den erwähnten Initiativen und Projekten beheben wollen und auch werden, da denke ich sehr positiv. Gerade die Leistungszentren für Mädchen bieten eine sehr interessante Perspektive für Berufstrainerinnen. Der Faktor Zeit ist entscheidend. Bestimmte Strukturen, auch in den Köpfen, verändern sie nicht in zwei Wochen oder zwei Monaten. Das Ziel ist, dass eine junge Trainerin mit Perspektive ihr ersehntes berufliches Umfeld eben nicht nur im Jungs- oder Männerfußball findet.
Es gibt noch Luft nach oben – bei vielen Vereinen mit Frauenmannschaften sieht man Aufrufe über Instagram: „Trainer:in gesucht!“, „Torhüterin gesucht!“, „Staff gesucht!“…
Ja, wir haben noch ein Stück des Wegs vor uns. Wir versuchen, das mit vielen Projekten und Programmen voranzubringen. Etwa mit Mentoring-Programmen, um zum Beispiel gezielt junge Trainerinnen von erfahreneren Kolleginnen und Kollegen anleiten zu lassen. Ich will nicht verleugnen: Da müssen wir noch offensiver und progressiver werden! Wir haben die Leute – wir müssen unser Potenzial nur richtig abrufen, es optimal managen.
Sie selbst waren Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre Spielertrainerin in der Frauenbundesliga beim SC Klinge Seckach, sind in der Konstellation sogar bis ins DFB-Pokalfinale gekommen. Heute sicher undenkbar?
Das waren andere Zeiten. Der Frauenfußball war nicht gerade der Platz, auf dem sich gute Trainer mit Karriereambitionen auf die Füße getreten sind. Die Konstellation bei mir war aus der Not geboren – hat mir aber auch eins gezeigt: Ich bin unheimlich gerne Trainerin! Mir persönlich hat das dann letztlich den nötigen Karriereschub gebracht. Ein modernes Konzept aber war das nicht, klar. Es war grenzwertig, auch vom Aufwand her.
Sie waren anfangs 17 Jahre alt und hatten noch keinen Führerschein, als Sie das erste Mal als Spielertrainerin gewirkt haben. Wie erarbeitet man sich als Trainerin die nötige Souveränität, wenn man von den Eltern mit dem Auto am Trainingsplatz abgesetzt wird?
Zu der Zeit habe ich noch nicht in einer Bundesligamannschaft gespielt, das war noch im Jugendbereich in meinem Heimatverein. Dann bin ich, im selben Verein, in den Bundesligafußball aufgestiegen. Man kannte mich, da gab es keine Probleme mit der Akzeptanz. Ich hatte auch das Glück, in einer wirklich tollen Mannschaft als Spielerin und Trainerin zu wirken. Wir hatten ein sehr gutes, kollegiales Verhältnis. Es war immer klar, wann die Trainerin spricht. Und wann die Mitspielerin.