Bruder und Schwester im Nationaltrikot – eine märchenhafte Fußball- Geschwister-Geschichte. Juliane Wirtz durchlief alle U-Mannschaften des DFB, Bruder Florian ist im aktuellen Kader unter Bundestrainer Hansi Flick. Beide starteten ihre Karriere im beschaulichen Brauweiler.
Es läuft die 90. Minute. Bayer Leverkusen verlagert noch einmal das Spiel. Von der rechten Seite landet der Ball bei Juliane Wirtz. Mitte der gegnerischen Hälfte legt sie sich den Ball vor und zieht aus rund 20 Metern ab. Der Linksschuss segelt, unhaltbar für die gegnerische Torhüterin, ins linke untere Eck. 2:0 für Bayer Leverkusen im Spiel gegen den MSV Duisburg, die Entscheidung.
Dieser 11. September 2020 ist ein ganz besonderer Tag für die junge Spielerin. Denn es ist ihr erstes Tor in der Frauen-Bundesliga. Und es ist eine erstaunliche Parallelität der Ereignisse. Denn nur wenige Monate zuvor, es ist der 6. Juni 2020, läuft ebenfalls die 90. Minute. Wieder verlagert Bayer Leverkusen das Spiel. Wieder schnappt sich Wirtz den Ball, lässt zwei Gegenspieler aussteigen und schlenzt die Kugel dann aus 16 Metern unhaltbar ins linke Eck. Diesmal heißt der Gegner allerdings Bayern München. Es war die Tor-Premiere für Florian Wirtz, den jüngeren Bruder von Juliane Wirtz – und nicht irgendeine. Zu diesem Zeitpunkt ist er 17 Jahre und 34 Tage alt – und damit der bislang jüngste Torschütze in der Geschichte der Bundesliga. Spätestens seitdem schreiben die beiden ihr ganz eigenes Fußball-Familienmärchen. Eine kaum zu glaubende Geschwister-Geschichte, die beide sogar in die Nationalmannschaften führte. Doch diese doppelte Erfolgsgeschichte beginnt ganz beschaulich.
Ballzauber aus Brauweiler
Nämlich in Brauweiler, einem 8000-Einwohner-Stadtteil von Pulheim im Rhein-Erft-Kreis, westlich von Köln gelegen. Juliane und Florian Wirtz stammen aus einer Familie von Fußball-Enthusiasten. Die beiden sind die jüngsten von insgesamt zehn Geschwistern. Neun von ihnen spielen Fußball oder haben mal gekickt. Papa Hans war Trainer der Kids. Ein Schlüsselereignis ist dann der 7. Juli 2011. Bei einem Turnier anlässlich des 50-jährigen Bestehens des SV Grün-Weiß Brauweiler sind Talentscouts aus der Region anwesend – und werden fündig. „Die erfolgreiche Nachwuchsarbeit der Fußballabteilung des SV Grün-Weiß Brauweiler wird jetzt belohnt! Vier junge Spielerinnen und Spieler verlassen den Club und wechseln zum 1. FC Köln“, schreibt die Stadt Pulheim damals voller Stolz in einer Pressemitteilung. Der Name Wirtz fällt dabei gleich zweimal: Denn sowohl Juliane Wirtz, damals 10 Jahre alt, als auch Florian Wirtz, damals 8 Jahre, zieht es in die Domstadt.
Es ist der erste wichtige Schritt in gleich zwei Fußballkarrieren, die seither im erstaunlichen Einklang und vor allem auch stetig voranschreiten. Juliane und Florian kämpfen sich durch die Jugendmannschaften des 1. FC Köln, beide debütieren in den U-Mannschaften des DFB. Juliane zieht 2019 mit den deutschen DFB-Juniorinnen ins Finale der U19-Europameisterschaft ein, Florian gewinnt im selben Jahr mit dem „Effzeh“ die Deutsche B-Jugendmeisterschaft – und wird 2021 mit dem DFB-Nachwuchs U-21-Europameister.
Und auf die gemeinsamen Stationen Brauweiler und Köln folgt der nächste gemeinsame Schritt. Beide Geschwister zieht es nach erfolgreichen Jahren in Köln zu Bayer 04 Leverkusen. Juliane entschied sich 2018 für den Wechsel zur Werkself, ihr Bruder tat es ihr zwei Jahre später gleich. Kalkül? „Ich bin nicht wegen Juliane von Köln nach Leverkusen gegangen. Ich habe hier bei Bayer 04 einfach bessere Perspektiven für mich gesehen“, sagte Florian Wirtz im großen Doppel-Interview mit dem Magazin „11Freunde“. Und Juliane fügte an: „In Bezug auf die eigene Karriere macht jeder von uns das, was für ihn am besten ist.“ So geschehen dann auch im Sommer 2023. Da wurde bekanntgegeben, dass Juliane Wirtz nach fünf erfolgreichen Jahren bei Leverkusen zu Werder Bremen wechselt. Bruder und Schwester gehen nun wieder getrennte Wege.
Schwester und Bruder im Nationaltrikot
Beide profitieren schon in jungen Jahren vom fußballerischen Talent des jeweils anderen. „Das fängt schon damit an, dass wir früher auf engstem Raum im Wohnzimmer gespielt und gekämpft haben. Dadurch haben wir früh eine gewisse Zweikampfhärte bekommen“, sagte Florian Wirtz zu „11Freunde“. Während Florian sich seitdem im offensiven Mittelfeld besonders wohlfühlt, hatte seine Schwester Juliane schon immer mehr Freude daran, Tore zu verhindern. Sie spielt in der Verteidigung, manchmal auch auf der Sechs im defensiven Mittelfeld.
Für Florian Wirtz ist Juliane trotz ihrer defensiveren Rolle immer ein Vorbild. 2015 läuft sie als erstes Wirtz-Familienmitglied für eine Junioren-Nationalmannschaft auf. Der 5:1-Erfolg der U15-Nationalmannschaft gegen Schottland beeindruckt den Bruder. Auch er träumt vom Adler auf dem Trikot. Auch dieser Wirtz-Traum wird wahr. Inzwischen ist Florian Wirtz A-Nationalspieler, gibt im September 2021 sein Debüt unter Bundestrainer Hansi Flick. Der Höhepunkt der noch so jungen Karriere, auf die alsbald der erste große und schmerzhafte Dämpfer folgt. Am 13. März 2022 verletzt sich Florian Wirtz schwer, zieht sich im Spiel gegen Ex-Klub Köln einen Kreuzbandriss im Knie zu. Es folgt eine fast neunmonatige Reha, bis er in einem Testspiel erstmals wieder für Leverkusen auf dem Platz auflaufen kann. Ein langer, schwerer Weg, auf dem ihm seine Familie, auch seine Schwester Juliane, stets zur Seite steht. Ende Januar 2023 wird er dann beim Auswärtsspiel in Gladbach erstmals wieder eingewechselt – und schon wenige Tage später, beim Heimspiel gegen Bochum, bereitet er wieder einen Treffer vor.
Nach dem frühen Aus der DFB-Nationalmannschaft bei der WM in Katar gilt Florian Wirtz nun bei der Heim-EM 2024 in Deutschland als einer der Hoffnungsträger der Nationalmannschaft. Den Sprung in die A-Nationalelf des DFB hat Juliane Wirtz, die ihrem Bruder so oft ein Vorbild war, noch nicht geschafft. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Gegenüber „11Freunde“ jedenfalls sagte sie: „Um ein Thema für die Nationalmannschaft zu werden, brauche ich noch ein wenig Zeit. Sie bleibt aber mein großes Ziel.“ Sicher ist: Bei ihrem neuen Verein Werder Bremen wird sie alles daransetzen, es erstmals ihrem Bruder nachzutun.